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Montag, 16. Oktober 2017

Arrogance and Stupidity – Ein wütender Kommentar zum Wahlergebnis

Dummheit hält sich für Intelligenz, Intelligenz hinterfragt stets die eigene Dummheit. Die Dummheit sucht den Fehler immer bei den Anderen, die Intelligenz immer bei sich selbst. So ungefähr hat es M. Tullius Cicero zu seiner Zeit auf den Punkt gebracht. Am Ende der römischen Republik, in der Morgensonne des Populismus und am Beginn der Diktatur. Er war zu seiner Zeit auch ein bescheidenes Gemüse (Cicero=Kichererbse), das Wahlerfolge errungen hatte und im Senat als politische Kontrollinstanz gegen Korruption und Machtmissbrauch gewirkt hat. Dieses Mal, am 15. Oktober 2017 in Österreich, war es allen Vorzeichen zum Trotz und allen bisherigen Hochrechnungen nach keine grüne Erbse, aber ein kleiner Pilz, der Wurzeln schlagen durfte.
Meiner Meinung nach ist es falsch, angesichts dieses Wahlergebnisses weiter von einem geteilten Land zu sprechen. Ich denke, das Ergebnis spricht für sich, und eine überwältigende Mehrheit hat sich für einen so genannten Rechtsruck entschieden und gegen so genannte linke Ideen. Im nächsten Nationalrat werden also nach aktuellem Stand eine konservative, eine heimat-soziale, eine wirtschaftsliberale Partei und eine junge Bewegung, geführt von einem erfahrenen Politiker, vertreten sein. Und eine Sozialdemokratie, von der eigentlich niemand mehr so wirklich weiß, vor allem nach einem Hrn. Schröder und einem Hrn. Hartz, auf welcher politischen Hemisphäre sie eigentlich steht. Die Sozialdemokratie wirkt wie der Markuslöwe (das Wappen der alten Republik Venedig), wie ein Mischwesen mit Klauen und Flügeln, das mit den Vorderpfoten auf dem Land und den Hinterfüßen auf dem Wasser steht. Dieses Tier läuft, fliegt und schwimmt überall und nirgends zugleich. Und es bleibt die Frage: „Sag, was bist Du eigentlich und was willst Du überhaupt?“ Im blendenden Licht der politischen Heilsbringer und parlamentarischen Vernunftehen scheint die Zeit für Fabelwesen endgültig vergangen.
Sieben Jahre später ist eine Situation eingetreten, die Gerd Schilddorfer und ich in unserem Bestseller NARR vorhergesagt haben (genrespezifisch überspitzt und dramatisiert), und ein junger fescher Minister hat alle anderen politischen Mitbewerber rechts überholt. Damals wurden wir von einigen belächelt, heute steht es weltweit in den Schlagzeilen. In einem anderen Buch von mir, das wohl niemals erscheinen wird, habe ich den Kater sogar noch konkreter vorhergesagt, der heute, am Morgen nach der Wahl, in meinem und in bestimmt vielen anderen Köpfen jammert:
„Die Schlange im Gras ist die Gefahr der individuellen Radikalisierung durch das Aufhalten in so genannten Filterblasen oder Echokammern. Mit dem Begriff Echokammer beschreiben Kommunikationswissenschaftler das Phänomen, dass viele Menschen in den sozialen Netzwerken dazu neigen, sich nur noch mit Gleichgesinnten zu umgeben, um sich gegenseitig in der eigenen Position zu bestärken. So entsteht eine fatale Dynamik. Wer den Konsens der Gruppe mit Inhalten und Kommentaren am besten trifft, wird ‚geteilt‘ und ‚gelikt‘ und bekommt reichlich Freundschaftsanfragen und Follower. Die Echokammer wächst und bläht sich zu dem Irrtum auf, sie repräsentiere keine gesellschaftliche Minderheit, sondern die demokratische Mehrheit. Es ist unwichtig, ob die Menschen außerhalb politische und gesellschaftliche Positionen teilen oder nicht. In der Echokammer ist man immer in der Mehrheit und automatisch auf der moralisch richtigen Seite. (…) Social Media jeder Art befördern diese Entwicklung. Indem sie mittels der aus freiwillig geteilten Informationen gewonnenen Algorithmen dafür sorgen, dass ich nur noch oder vorrangig Inhalte von meinem Browser angezeigt bekomme, die von Gleichgesinnten stammen oder von ihnen ‚gelikt‘ wurden. Informatiker nennen diesen Vorgang: Filterblase. Die Algorithmen-gestützte Filterblase sorgt dafür, dass ich nur noch mit Webinhalten und Content konfrontiert werde, die mein Weltbild stützen. Während andere, meinem Weltbild zuwiderlaufende Informationen herausgefiltert werden. So wird um den Nutzer sozialer Netzwerke ein bequemer Informationskokon gesponnen, in dem er als einzelnes Würmchen lebt, und den er für die Welt hält. Wie jede Münze hat auch diese Medaille zwei Seiten: Wohlbehütet kann ich in meiner eigenen Filterblase übersehen, wie aus der von mir belächelten Minderheit ganz unbemerkt die Mehrheit geworden ist. Meine Algorithmen lullen mich in Wohlgefallen ein, wiegen mich in Sicherheit. Und das Diskussionsforum meiner Wahl täuscht mich darüber hinweg. Und Eins, Zwei, Drei schreiten die von Volksvertretern und ‚Lügenpresse‘ Enttäuschten am zahlreichsten zu den Wahlurnen. Das wäre ein böses Erwachen am Morgen nach der Wahl. Aber wäre es Demokratie? Ob es mir in der aktuellen politischen Situation weltanschaulich schmeckt oder nicht, antwortet Jean-Jacques Rousseau in seinem Werk Der Gesellschaftsvertrag von 1762:
‚Übrigens darf ein Volk immer, worum es auch im einzelnen (!) gehen mag, seine Gesetze ändern, sogar die guten: Wer hätte das Recht, es daran zu hindern, wenn es sich nun einmal unbedingt schaden will?‘ [S. 70]“
Kurz gesagt: Das Aufhalten in einer Echokammer bewirkt Weltfremdheit. In dieser Weltfremdheit geborgen, trifft einem das gestrige Wahlergebnis wie eine Faust ins Gesicht. Und leider wurden auch schon die ersten tatsächlich angegriffen, auf Buchmessen und bei Wahlveranstaltungen.
Die Schuld an diesem Wahlergebnis nur bei den Anderen zu suchen ist dumm. Die Andersdenkenden als die Dummen zu betrachten ist arrogant. Und Dummheit und Arroganz sind eine gefährliche Mischung.
Viel zu viele selbsterklärte Linke haben bewiesen, dass sie von zu vielem zu wenig Ahnung haben, aber zu allem die „richtige“ Meinung. (Eine Eigenschaft, die sie mit vielen Rechten gemeinsam haben!) Das wiederum hat die Mehrheit der Menschen m.M.n. zu Recht als Beleidigung empfunden. Als disrespect wie der US-Amerikaner sagt. Persönliche Erfahrungsberichte wurden belächelt, vorweg abgelehnt, oder als „unpassend“ bezeichnet, weil sie nicht in die gewohnte Bestätigungsspirale gepasst haben. Berichte wurden als unwahrscheinlich abgetan, weil sie in der eigenen Lebensrealität keine Rolle spielten, daher auch keine Bedeutung hatten. Und bei all dem wurde übersehen, dass die eigene Lebensrealität, die einer privilegierten Minderheit ist. Privilegiert, weil sie die Möglichkeit beinhaltet, frei von Existenzängsten über Inhalte nachzudenken. Und nicht frei, aufgrund von Wohlstand, sondern aufgrund von Bildung. Aber leider ist Bildung nicht mit Wissen gleichzusetzen.
Im Elfenbeinturm der eigenen moralischen Überlegenheit haben leider viele aufgehört, ihren Mitmenschen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Kanon und Mehrstimmigkeit werden zunehmend als Misstöne empfunden, der Wunsch nach einem Leitmotiv wächst. Der Grundton, den die Stimmgabeln der Populisten anschlagen, ist klar: Die Europäische Union läuft Gefahr, in den Abgrund zu schlittern. Das größte Friedenswerk der europäischen Geschichte droht, an den Folgen einer für viele Systemkritiker aus Habgier entstandenen und für Ökonomen mit Gewissen vorhersehbar gewesenen Wirtschaftskrise zu zerschellen und von Flüchtlingsströmen fortgespült zu werden. Zäune und Grenzkontrollen nehmen der Freiheit die Luft zum Atmen. Überwunden geglaubte Ressentiments, Chauvinismus und banaler Futterneid bringen die gefährlichste Seuche des neunzehnten Jahrhunderts zurück, den Nationalismus. Wobei man nicht vergessen darf, was Sozialanthropologe David N. Gellner festgestellt hat: „Nationen entstehen ja nicht von allein, sondern werden erst durch Staaten und Nationalisten geschaffen.“ So genannte nationalkonservative Parteien erobern Raum, die fixe Idee Nation ist wieder salonfähig. Vergessen scheint, dass die Pandemie Nationalismus im Zuge ihres gewalttätigen Ausbruchs im zwanzigsten Jahrhundert in nur zehn Jahren (1914-18 und 1939-45) rund 95 Millionen Tote gefordert hat.
Politikverdrossenheit und Ohnmachtsgefühle bewirken bei vielen Mitmenschen einen Rückzug in die eigenen vier Wände (räumlich und geistig) und eine Realitätsflucht in fantastische Welten. Ist der eigene Planet alleine ökologisch nicht mehr in der Lage, die Menschheit zu ernähren und zu tragen, sucht und erschafft man sich halt neue. Und wenn sie auch nur als Bits und Bytes oder im Kopf existieren. Die Suche nach einfachen Antworten auf immer komplexer werdende Fragestellungen hat Hochkonjunktur. Orthodoxie und Dogmatik bieten sich als Lösung an, die Befolgung strenger Regeln und Glaubensätze bieten Sicherheit. Sei dies nun in Religion, Esoterik, Lifestyle und/oder Technologie- und Fortschrittsgläubigkeit. Sie alle sind bloß Facetten eines einzigen Schliffs. Konformität in Erscheinungsbild und Sitte wird wieder zum gesellschaftlichen Wert. Die vierte industrielle Revolution bedroht das gesellschaftliche und soziale Gleichgewicht. Arm und Reich driften zusehends auseinander. Migration trägt ihren Teil zum sozialen Unfrieden bei. Die wirtschaftliche Abhängigkeit, die Angst, Job und Anstellung zu verlieren, fördert eine Entwicklung, die als massiver und bedenklicher Rückfall in im Verlauf der letzten Jahrzehnte überwunden geglaubte Rollen- und Geschlechterklischees bezeichnet werden kann.
Viele Linke haben ihren Mitmenschen einfach nicht zugehört. Und als ich heute (am 16.10.2017) Terizija Stoisits im Mittagsjournal auf Ö1 zugehört habe, habe ich sie, als Antwort auf jede Frage des Interviewers nach den Gründen für das Scheitern der Grünen, Gebetsmühlenartig wiederholen gehört, „dass sie es sich einfach nicht vorstellen kann!“ Und egal, welche Worte auf diese Einleitung folgten, die eigentliche Beantwortung war bereits diese Realitätsverweigerung. Den größten Fehler sah sie darin, Peter Pilz nicht angegriffen zu haben. Falsch, der größte Fehler der Grünen in diesem Wahlkampf ist es gewesen, Julian Schmid anstelle von Peter Pilz auf Listenplatz Vier zu wählen. Wie auch das Wahlergebnis anschaulich macht, empfindet es nur eine verschwindende Minderheit als cool, im Kapuzenpullover vor den Nationalrat zu treten. Die Mehrheit, auch ich, empfindet es als Besudelung des Hohen Hauses und der Republik. Es schüttelt mich vor Ekel, wenn Themen und Grundfesten der Demokratie mit einer vulgären Imitation von Kabaretthumor angegangen werden. Wozu ich Michael Häupl zitieren möchte: „Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen, wer bitte soll uns dann noch ernst nehmen?“ Oder diese Republik?
In der Sozialdemokratie erscheint mir der Wiener Bürgermeister wie der letzte Mohikaner. Und er möge mir den flapsigen Vergleich vergeben. Für mich ist er der letzte Krieger eines einst edlen Stammes. Wo bitte, frage ich, existiert die „moderne und offene Gesellschaft“ real, die Christian Kern in seiner letzten Rede an- bzw. versprochen hat. Auf internationalen Konferenzen jedenfalls nicht. Dort behandeln Exilanten die international als österreichisch empfundenen Themen. Die Akademie der Wissenschaften bleibt auch im Ausland lieber unter sich, das internationale Feigenblatt stammt meistens ganz exotisch aus Deutschland. Das zuständige Bundesministerium nimmt jede Menge Geld in die Hand und drückt jedem und jeder KonferenzteilnehmerIn eine bunte Einladung in die Hand, aber wenn ich dann auf den Empfang gehe, dann redet niemand mit mir. Den Krüppel kann man ja in seinem Sessel hocken lassen. Aber nicht nur mit mir hat man nicht geredet. Liebe Landsleute, wenn man sich die Nachbarskinder zum Spielen einlädt, dann muss man ihnen auch die Hand geben und mit ihnen reden. Und während alle Internationalen (US-Amerikaner, Briten, Deutsche, Schweizer, etc…) Englisch sprechen, oder Hochdeutsch, damit sich auch wirklich jeder gegenseitig versteht, dann reden die ÖsterreicherInnen sozialdemokratischer Prägung breitesten Dialekt. Und wenn sie bemerken, dass da einer kommt, der sich ein bisschen anders anzieht und nicht an die Schöpfung Österreichs aus dem Nichts im 45iger-Jahr glaubt, dann erstarren sie und stecken die Köpfe zusammen. Ist das ihre „offene und moderne Gesellschaft“, Herr Kern? Es ist auf alle Fälle ihre (versorgte) Gefolgschaft.

Ich bedaure es zutiefst, dass die kleinen Oppositionsparteien so wenig Stimmen bekommen haben. Wenn alle, die vorab auf wahlkabine.at die meisten Übereinstimmungen mit der KPÖ gehabt hatten, diese auch guten Gewissens hätten wählen können, dann sähe die Welt für die Zweite Republik heute anders aus.